Krankenkassen wollen ihre Versicherten per App zu mehr Bewegung oder einer besseren Ernährung animieren ? und sie dafür belohnen.
Was in Deutschland aus Datenschutzgründen nicht so einfach ist, geht in Kanada nun der Staat im großen Stil an. Die dortige Regierung hat 7,5 Millionen kanadische Dollar in die Entwicklung der App Carrot Rewards investiert. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil die jährlichen Ausgaben für Gesundheitsmarketing von rund einer Milliarde kanadischer Dollar bisher so gut wie keinen Erfolg erzielten.
“Dass Informationen allein nicht ausreichen, um Menschen zu einem gesünderen Lebensstil zu animieren, zeigen die Gesundheitskosten”, sagt Andreas Souvaliotis, sozial engagierter App-Entwickler und Gründer von Carrot Insights. Die kanadischen Ausgaben beliefen sich 2016 auf stattliche 228 Milliarden Dollar und erreichten damit elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Rick Blick-stead, Präsident der kanadischen Diabetesorganisation, glaubt, dass die App helfen kann, diese Kosten zu senken. Denn jeder dritte Kanadier sei von Diabetes oder Prädiabetes, einer Vorstufe der Zuckerkrankheit, betroffen. Dabei handelt es sich vor allem um Typ-2-Diabetes, und der lässt sich durch Ernährung und mehr Bewegung beeinflussen.
Im März 2016 ging die Gemeinschaftsentwicklung von Carrot Insights, der Agentur für öffentliche Gesundheit Kanada und dem Gesundheitsministerium von British Columbia in der Pazifikprovinz an den Start. Es folgten Neufundland, Labrador und Ontario, demnächst soll die App in ganz Kanada verfügbar sein. Laut den Betreibern nutzten zuletzt 215000 Kanadier die App, also etwas weniger als fünf Prozent der Bewohner des bisherigen Verbreitungsgebiets. Die Gesamtheit der Nutzer bewegte sich nach zwölf Wochen mit der App bereits 35 Prozent mehr, sagt Matt O’Leary von Carrot Insights. Auch in Bezug auf Ernährung und Rauchen gebe es positive Hinweise, obwohl es für Ergebnisse noch zu früh sei.
“Die App setzt auf den Spieltrieb und profitiert von der Tatsache, dass Kanadier in ihr Smartphone und das Sammeln von Treuepunkten vernarrt sind”, erklärt Gründer Souvaliotis. Um Punkte zu verdienen, müssen die Nutzer etwa Fragen zum Thema Ernährung beantworten, Gesundheitsinformationen lesen oder sich entsprechend bewegen. Die Punkte können sie dann vielfältig einlösen: für den nächsten Flug, ein Konzert oder einen Restaurantbesuch. Nicht beteiligt an dem Programm ist bisher die staatliche Krankenversicherung Kanadas.
Die App ist ein kommerzielles Produkt, das von der Regierung finanziert wird. Das Konzept ist immerhin so erfolgreich, dass es auch international auf Interesse stößt: Jüngst stellte Souvaliotis die App der Regierung in Großbritannien vor, und auch in Deutschland sieht er gute Chancen.
Doch bei aller Euphorie über mehr Gesundheit und sinkende Kosten hat das Angebot auch eine Kehrseite. Bisher ist die App zwar freiwillig, doch aus so einem Angebot könnte in den Händen einer Krankenkasse schnell eine unausgesprochene Pflicht werden. Denn Belohnung für die einen und Bestrafung für die anderen wären dann zwei Seiten der gleichen Medaille. Wer nicht mitmacht, könnte sich also bald höheren Krankenkassenbeiträgen gegenübersehen. (Simone Hörrlein) / (bsc)
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