(Christian Fischer / Wikipedia / cc-by-sa-3.0)
Mit Ballastwasser verschleppte Meeresorganismen verursachen gewaltige Kosten und ökologische Katastrophen. Neue Filteranlagen können das ändern. Die Reeder setzen sie aber nicht ein.
Belgien könnte das Zünglein an der Waage sein. Obwohl das Land mit einem Anteil von 0,46 Prozent am weltweiten Seetransport nur ein ganz kleiner Fisch ist, könnte es dafür sorgen, dass eine wichtige Vereinbarung der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) endlich umgesetzt wird: das sogenannte Ballastwasser-Übereinkommen. Es tritt erst dann endgültig in Kraft, wenn es mindestens 30 Staaten, die mindestens 35 Prozent des weltweiten Schiffstransportes repräsentieren, ratifiziert haben. Bis Februar 2016 waren es genau 34,56 Prozent, darunter auch Deutschland. Belgiens Anteil würde also gerade ausreichen, die Schwelle zu überschreiten.
Die Konvention soll verhindern, dass sich Meeresbewohner ungewollt immer weiter um die Welt verbreiten. Sind Frachter oder Tanker nicht voll beladen, pumpen sie zur Stabilisierung Hunderttausende Liter Wasser an Bord. Nehmen sie neue Ladung auf, lassen sie den Ballast wieder ab. Dabei werden Muschel-, Krebs- und Fischlarven, Algen und Bakterien in Ökosysteme eingeschleppt, in denen sie nichts zu suchen haben.
Dies führte bereits zu erheblichen Schäden. Die eigentlich im Schwarzen Meer heimische Zebramuschel etwa bildet in Westeuropa und Nordamerika riesige Kolonien, die unter anderem die Wasserleitungen von Kraftwerken verstopfen. Allein in den USA verursacht sie geschätzte Kosten in Milliardenhöhe. Auch die Chinesische Wollhandkrabbe hat sich zur Plage entwickelt. Sie tritt regional in Massen auf und frisst einheimischen Arten das Futter weg. Außerdem zerstört sie Fischernetze oder plündert den Fang. Allein bis 2004 war sie laut Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) für 85 Millionen Euro Schäden in deutschen Gewässern verantwortlich.
Ein weiterer Störenfried ist die Meerwalnuss. Die in den 1980er- und 1990er-Jahren aus dem Atlantik ins Schwarze Meer verschleppte Rippenqualle dezimierte die Bestände mancher Speisefische um 90 Prozent, Sardinen rottete sie fast völlig aus. Seit 2006 taucht sie auch immer wieder in der Ostsee auf ? bisher allerdings, ohne größere Schäden anzurichten.
Um so etwas künftig zu verhindern, haben sich die Mitglieder der IMO 2004 nach jahrelangen Verhandlungen auf strenge Richtlinien geeinigt: Ein Kubikmeter abgelassenes Ballastwasser darf nur zwanzig lebende Organismen größer als zehn Mikrometer enthalten. Derzeit erfüllen rund 60 zugelassene Reinigungsanlagen diese Kriterien. Sie sind etwa so groß wie Schiffscontainer, können stündlich bis zu 20000 Tonnen Wasser behandeln und haben meist vorgeschaltete mechanische Filter, die groben Schmutz und große Organismen abfangen.
Anschließend folgt eine weitere Reinigungsstufe. Rund zwei Drittel aller Anlagen arbeiten mit Elektrolyse oder UV-Licht, sagt Stephan Gollasch, Meeresbiologe und Gutachter für Ballastwasser-Behandlungsanlagen. Bei der Elektrolyse setzt eine elektrische Spannung Chlor aus dem Meersalz frei, das die Organismen abtötet. Diese Methode funktioniert allerdings nicht mit Süßwasser wie etwa in den nordamerikanischen Großen Seen. Andere Anbieter wie der britische Hersteller Cathelco pumpen das Wasser an UV-Lampen vorbei. Die restlichen Verfahren setzen auf Ozon, Erhitzung, Sauerstoffentzug, Ultraschall oder Chemikalien.
Kommt die IMO-Konvention noch in diesem Jahr durch ? neben Belgien wird auch in der wichtigsten Seefrachtnation Panama schon länger über die Ratifizierung diskutiert ?, wäre sie ab Ende 2017 verbindlich für alle neuen Schiffe. Zudem müssen die Reeder weltweit 40000 bestehende Schiffe innerhalb von fünf Jahren nachrüsten. “Das ist mehr als ambitioniert”, sagt Ralf Nagel, Chef des Verbands Deutscher Reeder (VDR). “Die Hersteller haben gar nicht die Kapazitäten für den Bau so vieler Anlagen.”
Matthias Voigt, Forschungs- und Entwicklungschef bei Cathelco, kontert: “Die Reeder haben das Problem teilweise einfach ausgesessen.” Das sei allerdings kein Wunder, denn die Gesamtinvestition für eine Anlage inklusive Einbau und Liegezeiten im Trockendock könne leicht einen sechs- bis siebenstelligen Betrag ausmachen. “Bei weltweit sinkenden Frachtraten müssen die Reeder eine solche Investition rechtfertigen.” Doch der Umbau lohne sich bei älteren Schiffen oft nicht, so Voigt. Er glaubt daher: “Viele Schiffe, die sonst noch ein paar Jahre fahren könnten, werden vermutlich vorzeitig abgewrackt.”
Dazu kommen noch weitere Probleme: “Die Umweltbehörde der USA hat noch viel strengere Regeln für die Ballastwasserbehandlung aufgestellt als die IMO”, sagt VDR-Chef Nagel. So fordert sie, dass überhaupt keine Organismen mehr im Ballastwasser vorhanden sein dürfen. Bislang gibt es keine einzige Anlage, welche die strengen US-Normen erfüllt. Angeblich soll sich das zwar bis Mitte des Jahres ändern. Wie genau, darüber kursieren bislang allerdings nur Gerüchte. Aber selbst wenn entsprechende Anlagen tatsächlich auf den Markt kommen, werde es zu Lieferengpässen und hohen Preisen kommen, fürchtet Verbandschef Nagel und kündigt an, neue Verhandlungen mit der IMO führen zu wollen, wenn deren Konvention in Kraft getreten ist.
Beim BSH sieht man die Lage gelassener: “Die US Coast Guard hat für die von der IMO zugelassenen Anlagen Übergangsgenehmigungen erteilt, die fünf Jahre gültig sind”, sagt Carolin Abromeit, Leiterin des Sachgebietes Umweltschutz im Seeverkehr. Die Reeder haben ohnehin ein Schlupfloch: Völlig unklar ist derzeit, wie die zuständigen Behörden die Zahl der Organismen im Ballastwasser überhaupt überprüfen sollen. Entsprechende Tests sind noch in der Entwicklung.
Selbst wenn diese Probleme gelöst sind, ist die Gefahr noch immer nicht gebannt. Zum einen haben alle Systeme laut Meeresbiologe Gollasch ein Problem mit Organismen, die “Dauerstadien” bilden, wie etwa Planktonalgen. Denn diese sind äußerst resistent gegenüber allen chemischen oder physikalischen Einflüssen. Noch nach Monaten können sie wieder zum Leben erwachen. Hier suchen die Anlagenbauer noch nach geeigneten Mitteln. Zum anderen reist “nur rund die Hälfte der Organismen in den Ballasttanks von A nach B”, fügt Cathelco- Entwickler Voigt an. “Die andere Hälfte hängt außen an den Schiffsrümpfen als sogenanntes Fouling.” Gespräche über dieses Thema haben bei der IMO gerade erst begonnen. (Helmut Broeg) / (bsc)
Dieser Text ist der Zeitschriften-Ausgabe 03/2016 von Technology Review entnommen. Das Heft kann, genauso wie die aktuelle Ausgabe, hier online bestellt werden.
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